einige gedanken über das komponieren


zeit

viele prozesse beim komponieren brauchen sehr viel zeit
zu denken zu fühlen phantasieren inneres hören sich entscheiden und schließlich die partitur zu schreiben
oder in elektronischer musik programmieren usw
versuch zu fühlen welche zeit ein stück, ein prozess braucht
versuch ihm diese zeit zu geben
oft ist zu wenig zeit da — warum?
schnell schnell schnell — aber schnell heisst oberfläche, schnell heisst funktion —
wann ist es zeit nein zu diesem druck zu sagen?

üben

jedes instrument braucht beständige pflege, beständigen kontakt
ebenso in der meditation, in gymnastik oder im sport
und für das komponieren gilt dasselbe:
wir sehen dass die arbeit besser fließt wenn wir jeden tag komponieren
wir wissen wie schwer es sein kann wieder hereinzukommen nach einer unterbrechung
manchmal sind es die umstände
aber es ist doch an uns es in die hand zu nehmen
wir brauchen disziplin

skizzen

ich glaube viele komponisten machen viel zu wenig skizzen
für sie heisst komponieren die noten auf das papier zu schreiben
aber das ist nur der allerletzte schritt
wenn wir eine komposition mit einer landschaft vergleichen, sollten wir nicht versuchen, so schnell wie möglich von hier nach dort zu kommen. wir sollten versuchen die landschaft selbst zu erkunden
wie ist sie beschaffen?
welche felsen, welche bäume, welche flüsse, welche felder?
wie können wir uns in ihr bewegen?
wenn wir eine komposition mit einem menschen (oder einem tier) vergleichen, sollten wir nicht versuchen dieses wesen zu zwingen, dies oder jenes zu tun, oder so und so zu sein. wir sollten danach trachten es kennenzulernen:
wer bist du?
wie würdest du gern sein?
wie kann ich dir helfen das zu werden was du bist?
um dieses prozesses willen müssen wir schreiben, zeichnen, skizzieren. jede/r mus seine/ihre eigene methode, den eigenen weg finden. es gibt kein richtig und falsch. und dieser weg hat seinen wert nicht nur darin, sich über ihn dem ziel zu nähern. er hat seinen wert in sich

schlechte fragen

ist meine musik gut?
überlass es anderen zu urteilen.
die gute frage wäre:
habe ich mein bestes getan meine musik zu gut herauszubringen wie möglich?
(also genug zeit nehmen, in die einzelheiten gehen, eine gute partitur schreiben usw)
ist meine musik besser oder schlechter als ... ?
glaubst du musik ist wie sport oder wettbewerb, mit rangordnung?
fragst du das weil du besser sein willst als x?
oder fühlst du dich schlechter als y?
wie kannst du zu deinem eigenen (unvergleichbaren) wert kommen, ohne besser oder schlechter als irgend jemand anders zu sein?

tradition und community

es gibt nicht eine musik, es gibt viele musiken
nicht nur in bezug auf zeit/geschichte und geografie/region
es gibt auch ganz unterschiedliche musiken in neuer musik
unterschiedlich bezogen auf das, was die komponisten mögen, und in welchen bezugssystemen sie leben
unterschiedlich bezogen auf die werke in deren tradition sie sich sehen
und auch unterschiedlich im habitus, in der art über musik nachzudenken und zu sprechen
die welt der neuen musik ist ein weites land mit vielen dörfern und häusern
und sie ist offen. sie ist nicht abgeschlossen wie die klassische europäische musik oder vielleicht die traditionelle persische musik. sie wird sich entwickeln, sie wird sich ändern
sei ein teil dieser entwicklung, sei ein teil dieser veränderung
versuche herauszufinden welcher musik du dich nahe fühlst, und welcher person du dich nahe fühlst, um zu lernen, zu teilen, zu diskutieren, zu lehren
versuche mit diesen leuten — musikern, komponisten, unterstützern, publikum — eine community zu formen: zusammenkommen, konzerte organisieren, treffen zu etablieren
du brauchst diese gemeinschaft, und die anderen brauchen dich

neue musik

in der europäischen musikgeschichte gab es oft eine neue musik. zum beispiel:
die ars nova (neue kunst, ~1320) die die frühere musik ars antiqua (alte kunst) nannte
die neue art von "frischen konsonanzen" (~1430) die wir heute renaissance nennen
die "seconda prattica" (andere/neue art zu komponieren, ~1600) mit neuer ausdruckshaftigkeit
die neue einfachheit um 1760 die wir heute klassik nennen
neue musik entsteht also und wird alt
unsere (?) gegenwärtige (?) "neue musik" ist nun schon mehr als hundert jahre alt, also wirklich alte musik ... was macht sie aus? keine dreiklänge zu benutzen, keine normalen spielweisen der instrumente?
für mich selbst ist neue musik, oder meine neue musik, vor allem dies:
sie ist wesentlich freie musik; nichts steht fest, so und so zu tun oder nicht zu tun
ob wir beispielsweise ein metrum benutzen oder nicht — wir müssen es entscheiden und die konsequenzen wissen
und: neue musik, wie ich sie verstehe, wendet nicht an; sie gebraucht nicht einfach eine existierende technik, sondern sieht von einer "neuen" perspektive aus auf etwas (fozié majd beispielsweise sagte einmal etwas wie: "da war dieser traditionelle musiker, und die art wie er seine stücke aufhörte war so außerordentlich — ich hätte ein stück darüber machen können." — das wäre ein beispiel für einen neuen blick auf etwas bestehendes)

erfolg

ja wir brauchen erfolg
aber erfolg ist keine einfache, unteilbare sache. es gibt verschiedene instanzen die dir erfolg geben oder nicht:
die musiker die dein stück spielen. vielleicht der wichtigste erfolg: spielen sie unser stück gern oder nicht. aber andererseits: musiker haben ihre eigenen interessen, ihre eigenen bewertungsmaßstäbe — diese können deine musik treffen oder verfehlen (klassisches beispiel: der violoncellist der wütend auf beethovens quartette op 59 war)
die kollegen die deine musik hören. vermutlich die erfahrensten hörer mit den angemessensten maßstäben. aber welches stück musik gibt es, oder welchen komponisten, der von allen verschiedenen gruppen und richtungen anerkannt und geschätzt wird; selbst in so "klassischen" fällen wie cage oder nono — wieviel mehr in gegenwärtiger musik
die veranstalter die deine stücke aufführen oder aufträge erteilen. sie haben oft einen guten überblick über "die szene" und ihre entwicklungen, und manche auch ein tiefes verständnis von musik, aber natürlich hängt ihr urteil und ihre auswahl ab von ihrem persönlichen geschmack, von moden, von verlagen, von werbung, von themen und vielem mehr
das publikum das deine musik hört. es gibt so viele publika ... und viele abhängigkeiten und veränderungen im urteil des publikums — beispielsweise den erfolg den jemand schon mitbringt. lachenmann beispielsweise hat heute selbst in einem klassischen konzertkontext erfolg — wie anders war dies vor einigen jahrzehnten
dies alles heisst nicht, dass all diese leute in diesen verschiedenen gruppen dumm sind und wir ihre kritik ignorieren sollen oder erfolg nicht genießen. es heisst nur, dass erfolg eine komplexe sache ist, die von vielen faktoren abhängt und auf verschiedenen gründen beruht
abgesehen von den verschiedenen gruppen sollten wir fragen, wozu genau wir erfolg brauchen:
brauchen wir erfolg um uns geliebt und bestätigt zu fühlen?
brauchen wir erfolg um eine bestimmte position zu erreichen?
brauchen wir erfolg damit unsere musik gespielt wird?
brauchen wir erfolg um aufträge zu bekommen?
dies alles sind recht verschiedene wege und funktionen des erfolgs
wenn erfolg da ist, kann er dinge möglich machen. wir werden gefragt, neue stücke zu schreiben, über unsere musik zu sprechen, wir werden eingeladen, wir können eine stelle bekommen. aber erfolg kann auch probleme mit sich führen. er kann unsere musik korrumpieren weil die meisten leute etwas am liebsten hören das leicht ist zu hören. er kann dazu verleiten eine art des komponierens immer zu wiederholen, weil man mit dieser art erfolg hatte (und als musikalischer kleinunternehmer bleibt man bei seinem "markenzeichen"). es kann dazu führen zu viel zu komponieren, weil man nicht nein sagen kann und den hype befriedigen muss
es gibt noch einen anderen erfolg, einen erfolg in dem zwiegespräch zwischen dir und deinem stück. du wirst befriedigt sein wenn du das gemacht hast, von dem du wusstest (fühltest), dass du es tun solltest. wenn du deinem stück gegeben hast was du konntest. wenn du mit der größtmöglichen konzentration und hingabe daran gearbeitet hast
dann wirst du einen inneren erfolg fühlen, eine tiefe befriedigung, und muss nicht dieser innere erfolg die basis für alle anderen erfolge sein, und das korrektiv für sie?
eine komposition ist eine gabe, kein tauschobjekt

der besondere ort

komposition braucht in vieler hinsicht einen besonderen ort. ob nun physisch (der schreibtisch in der wohnung) oder zeitlich (der ort im tagesablauf) oder metaphorisch: es braucht einen raum der nur für das komponieren da ist; einen raum der geschützt ist, damit er nur dies ist und nichts anderes
das ist nötig weil unser tägliches leben regeln folgt die sich nicht mit dem komponieren vertragen: zeitdruck, pflichten, funktionen, ablenkungen. komponieren aber braucht zeit, konzentration, widmung, und in einer weise das "aus der welt sein"

balancen

wie viel sollen wir in ein stück hineinlegen, wie viel wollen wir von einer komposition:
wenn zu wenig werden wir tiefe vermissen
wenn zu viel werden wir es überladen
wie viel sollen wir zweifeln, zögern:
wenn zu wenig kann das komponieren in automatik und reproduktion veröden
wenn zu viel bist du blockiert, kannst dich nicht mehr bewegen, und du akzeptierst nicht deine unvollkommenheit

der weg / komponieren und leben

wir erfahren unser leben als eine linie zwischen geburt und tod
(das ist nicht die einzige art unsere existenz hier zu erleben, und vielleicht nicht die vorzüglichste, aber es ist eine plausible und von vielen geteilte)
wenn das leben ist wie es sein soll, erfahren wir diese linie als weg, und wir sagen: ich bin auf meinem weg
wenn das leben nicht so ist wie es sein soll, sagen wir: ich kann meinen weg nicht finden, oder: ich fühle mich blockiert, oder: ich bin in einer sackgasse
für einen komponisten bedeutet das komponieren eines der wichtigsten mittel seinen/ihren weg zu finden. hier, in dem prozess des komponierens, haben wir ein besonderes feld, in dem wir mit unseren fragen und problemen konfrontiert werden, und vielleicht in der lage sind sie zu lösen: angst, zweifel, politik, gewalt, nöte, wünsche, bedürfnisse. komponieren bietet einen besonderen ort uns mit schwierigen dingen auseinanderzusetzen, unseren weg durch sie zu finden und sie vielleicht anders sehen zu können

(teheran, märz 2017)