Joachim Heintz
Lektüren I
Huangbo
Linji
Schrenz Verlag 2018 (= SCHRENZ 01)
(geschrieben 2017)
Dieses Büchlein versammelt zwei verschiedene Lektüren, beruhend auf Texten der „alten Chinesen“ Huangbo und Linji. Lektüren als Ausdruck und Formung der eigenen Leseweise, als ein Lesen, das zum Schreiben geführt hat und sich im Schreiben artikuliert. Lesen als Aus-lesen, als Auf-lesen und als Weiterführen — so wie „die Sprache es will“, jedenfalls für die Wahrnehmung dessen, der schreibt.
Leseprobe: Bruchstücke Huangbo
kein anfang nicht vergangenheit nicht zukunft
nicht entstanden nicht ausgelöscht
nicht grün nicht gelb
keine form ohne merkmale
neu und alt gibt es dort nicht
lang und kurz gibt es dort nicht
groß und klein gibt es dort nicht
wer wie ein stein ist hat es verstanden
wer sich gedanken macht hat es verfehlt
dieses wesen
geist nicht geist
im innern fest
mit einem kern
nach außen hin wie die leere
ohne grenzen und hindernis
ohne ich und du
ohne ort
ohne eigenschaften
ohne erlangen und verlieren
zum nicht geist kommen
sogleich ist das ende erreicht
Leseprobe: LINJI oder SCHIMPFEN SCHLAGEN SCHREIEN
tagaus tagein lehre ich euch ich lehre euch aber ihr bleibt stumpf ihr merkt es nicht ihr merkt nicht was gerade jetzt ist was gerade jetzt hier ist und sich bewegt
ihr haftet an gräsern und blättern wie das vieh nicht einmal ihr seid bambus und baumseelen nicht einmal ihr seid fuchsgeister die auf dungklumpen herumkauen das blöde viehzeug hat sie hinterlassen und ihr kaut und kaut und kaut ihr kaut auf eurem buddha herum aber es gibt keinen buddha ihr kaut auf eurer wahrheit herum aber es gibt keine wahrheit ihr kaut auf eurer übung herum aber es gibt keine übung ihr kaut auf eurer erleuchtung herum aber es gibt keine erleuchtung wonach also sucht ihr mit euren leeren augen was stolpert ihr links und rechts herum auf eurem kopf ist noch ein weiterer kopf gewachsen und auf diesem noch ein weiterer und mit eurem riesigen kopfgeweih wankt ihr durch die gegend und lauft gegen wände und dann klagt ihr noch über meine schläge
woran mangelt es euch denn
viele kommen zu mir keiner unter ihnen hängt nicht ab von etwas keiner unter ihnen ist frei also schlage ich ich schlage zu ich schlage dorthin wo sie hängen hängt einer an gesten und gebärden dann schlage ich auf die hände hängt einer an seinem mundwerk dann schlage ich auf den mund hängt einer an seinen augen dann schlage ich auf die augen
ihr solltet nicht darüber klagen klagt wenn ich aufhöre euch zu schlagen
wisst ihr was der grund für eure krankheit ist ihr klappernden gerippe ihr traut euch nicht ihr zögert ihr zweifelt ihr zagt ihr jammert ihr fragt euch löcher in den bauch ihr vernünftelt herum aber ihr glaubt euch nicht ihr seht nicht einmal eure krankheit so taumelt ihr herum von umstand zu umstand und die zehntausend dinge treiben ihr spiel mit euch
was ist es denn was wirklich verstehen kann eure milz euer magen eure leber eure galle etwa der leere raum etwa seht ihr es nicht ihr schlafwandler was hier vor mir steht klar und deutlich ohne form von selbst leuchtend
ihr sprecht von verstehen aber ihr baut nur namen und worte ihr schaut auf die leute und ihr macht euren diener vor den beamten den verwaltern der alten meister den totengräbern der alten meister sie haben die reden der alten in ein großes buch geschrieben sie wickeln das große buch in tücher dreimal fünfmal sie lassen es niemanden sehen und sie sagen da da in diesem buch in unserem buch darin ist das geheimnis das verborgene wissen das ihr haben wollt und ihr ihr schwimmt ihnen hinterher wie ein schwarm elritzen mit starren augen und großem mund und luftblasen steigen auf blubb blubb blubb
ihr vernagelten holzköpfe wie wollt ihr aus verwitterten knochen denn saft pressen
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