Die Tauben sind zarter hier, mit leicht rötlichem Gefieder. Auch die Krähen im Park Saie sind kleiner als bei uns, und mit ihrer grauschwarzen Zeichnung scheinen sie einen Frack zu tragen, der jedesmal etwas anders schief sitzt. Katzen überall; ab und zu kommt eine Frau, ruft, und sofort sind fünf, sechs Katzen da, mit emporgereckten Schwänzen, streichen um ihre Beine. Fütterung.

Für Kurt Schwitters ist Dada (dáda) keine Kunst- oder Anti-Kunst-Richtung, sondern eine Eigenschaft der Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, deren Einzelteile auseinanderfallen, so dass überall Risse, Brüche, Widersprüche und - nach Schwitters' Wort - Stillosigkeiten entstehen. In diesem Sinne ist der Iran von heute sehr Dada. Dada ist der neue Imam Khomeini International Airport, geplant als Prestigeprojekt, geendet als heute schon wieder zu kleiner Flughafen, aber ohne den Charme des alten beengten Stadtflughafens. Hatte dieser das typisch persische Improvisieren mit den überkommenen Gegebenheiten, so bleibt hier nur Frust über Fehlplanung und kalt verrottende Strukturen. Bei der über einstündigen Autofahrt nach Teheran passiert man das monströse Mausoleum Khomeinis, The Holy Shrine, und man hat den Eindruck, diese Vorbeifahrt sei wohl der eigentliche Grund für die Lage des so weit entfernten Flughafens.

Dada (dáda) führt zu Dada (dadá), der künstlerischen Reaktion auf die auseinanderfallende Wirklichkeit. Die Bildende Kunst scheint hier die ausgebauteren und stabileren Strukturen zu haben als die Musik. Es gibt ungefähr fünfzig Galerien in Teheran, die sehr aktiv und mit großem Publikumsandrang gegenwärtige Künstlerinnen und Künstler ausstellen. Die Neue Musik hat demgegenüber einen schwereren Stand, aus vielen Gründen. Zu Beginn der Islamischen Republik gab es eine starke Tendenz, Musik überhaupt zu verbieten. Wenn daraus auch nichts wurde, ist doch westliche Musik, und insbesondere wenn sie heute komponiert wird (egal ob Neue Musik oder Pop), immer noch und immer wieder suspekt.

Es wäre kein Dada, wenn es nicht widersprüchlich wäre. Manches scheint leichter geworden zu sein; verglichen mit der Depression nach der Niederschlagung der Proteste vor fünf Jahren gibt es wieder relativ viele Aufführungen, teils an prominenten Orten. Andererseits gibt es immer wieder willkürliche Schikanen. Seit einem Monat, erzählt mir ein Ensembleleiter, muss nicht nur das Konzertprogramm und Aufnahmen, sondern müssen auch die dazugehörigen Partituren der Zensurbehörde zur Genehmigung vorgelegt werden. Auch wenn die Zensoren meist keine Noten lesen können. Wer eine CD oder eine Zeitschrift herausgeben will, muss umständliche Genehmigungsverfahren auf sich nehmen und damit rechnen, dass eine Ablehnung erfolgt, deren Begründung ungefähr dasselbe sagt wie, es habe dieses Jahr zu viel geregnet.

Aber die Menschen sind gewohnt zu improvisieren. So wie die Mehrzahl der deutschen Autofahrer im Teheraner Verkehr wohl einen Herzinfarkt erleiden würden, so ist ein Verbot im Iran nicht dasselbe wie ein Verbot in Deutschland. Und was man innerhalb der eigenen vier Wände tut, ist etwas sehr anderes, als was man in der Öffentlichkeit tun kann. Dabei sind die eigenen vier Wände manchmal recht groß.

Dada. Smartphones überall, viel (halb-) freies W-LAN in neuen Coffee Shops, und gleichzeitig eine neue Offensive der Sittenpolizei, die Frauen festnimmt und „belehrt“, die sich nicht an die Kleidungsvorschriften halten. Dada ist die traditionelle Weltoffenheit der persischen Händler, und gleichzeitig die verbohrte Engstirnigkeit der herrschenden Ideologie, für die der Islam wieder einmal herhalten muss.

In Europa kam Dada mit dem großen Krieg, nach dem großen Krieg. Im Iran herrschte in den achtziger Jahren Krieg, nach dem Überfall von Saddam Hussein, und dem Versuch Khomeinis einen Sieg zu erzwingen. Krieg auch nach innen, mit Ausschaltung verschiedener oppositioneller Gruppen. Für die Neue Musik bedeutete das eine Zeit des Nichts, mit einem Zusammenbruch aller Strukturen, die es bis dahin gegeben hatte, im Rundfunk beispielsweise. Ich spreche mit einer Komponistin der älteren Generation. Sie forschte in den 70er Jahren über traditionelle Musik, und ihre Kompositionen dieser Zeit sind ein seltenes Beispiel dafür, dass der Bezug auf traditionelle Musik zur Radikalisierung des Ausdrucks, statt zu Halbheiten führen kann. Für sie brach alles weg mit der Revolution, und ihr fehlte das Macht- oder Sendungsbewusstsein, sich - sei es im Ausland oder später im Iran - ihre Position zu erkämpfen. Was in Ländern wie Deutschland zu einem Unterschied in der Berühmtheit geführt hätte, führte im Iran zu einem Bruch der Biografie. Man sieht keine Möglichkeit mehr und wendet sich anderen Dingen zu.

Zurück in Berlin, Flughafen Tegel. Wie ruhig hier alles ist, es ist ja wie in einem Dorf. Ich bin der dritte, der sich beim Fahrer des Airport Express Busses anstellt, um eine Fahrkarte zu kaufen. Hinter mir schließt er die Tür, obwohl noch zwei andere mitfahren wollten. Jetzt reichts aber, nun muss ich hier mal loskommen, zischt er. Ich frage mich, ob ich dieses Aussperren im Iran hätte erleben können, und wenn ja, ob mit dieser Geste.