Dieses Interview entstand unter Vermittlung der Yarava Music Group im Oktober 2023. Es erschien in Farsi ->hier. Dank geht vor allem an Asal Karimi für die Übersetzung. Diese kann ->hier heruntergeladen werden.


Erzählen Sie uns über Ihre letzten Aktivitäten und auch Ihre Kooperationen innerhalb des letzten Jahres mit der Yarava Music Group und anderen Ensembles.

Neben dem Komponieren von Musik schreibe ich Texte. In den letzten Monaten habe ich vor allem an einem Text über Laozi gearbeitet. Das ist ein etwa 2500 Jahre altes chinesisches Buch, das um die Frage nach dem "Weg" (Dao) kreist. Mein eigenes Buch dazu heisst "Text in Bewegung". Es enthält eine eigene Version des Laozi, und andere von mir selbst geschriebene Texte, und außerdem Zeichnungen eines Künstlers.
In meiner künstlerisch-pädagogischen Arbeit an der Musikhochschule Hannover unterrichte ich Elektronik im Bereich Komposition. Ich treffe mich jede Woche für eine Stunde einzeln mit den ungefähr zehn Studierenden, und wir diskutieren ihre Kompositionen, von der ersten Idee bis zur endgültigen Realisierung. Außerdem gibt es Seminare und Konzerte, in denen wir die Musik der Studierenden zeigen.
Vor einem Monat war ich in Montevideo, Uruguay, und hatte eine sehr schöne Zusammenarbeit mit verschiedenen Musikern, unter anderem mit Aufführungen meines Stücks "Bizarre Plätze" für Schlagzeug und Elektronik. An der Universität dort habe ich Komposition unterrichtet und die Audio-Programmiersprache Csound gezeigt. Als Abschluss gab es ein sehr lebendiges Improvisationskonzert mit drei Musikern, bei der ich mit meinem Programm ALMA gespielt habe.
Mit Yarava gab es im vergangenen Jahr nicht so viele Aktivitäten wie sonst. Aber wir überlegen derzeit, wann und wie wir das nächste Festival machen.

Wie sind Sie auf elektronische Musik und zeitgenössische Musik im Iran gekommen?

Im Herbst 2002 war ich auf Einladung meines Freundes Ali Gorji zum erstenmal im Iran. Da wir beide Komponisten sind, haben wir viele andere Komponist:innen und Musiker:innen getroffen, als Freunde, Lehrer oder Schüler von Ali. Unter anderem Shahrokh Khajenouri, Alireza Mashayekhi, Farima Ghavamsadri, Azin Movahed, Farzia Fallah und Elnaz Seyedi. Später habe ich Mehdi Jalali, Kiawasch Sahebnassagh, Nader Mashayeghi, Sara Abazari und andere Komponist:innen bei meinen Besuchen kennengelernt.
Vor allem zu Shahrokh Khajenouri entwickelte sich ein sehr freundschaftliches Verhältnis, und ich bin ihm immer dankbar für seine großartige Gastfreundschaft in all den vielen Jahren. In seiner Wohnung fühlte ich mich wie in einem zweiten Zuhause, und als ich vor zwei Jahren am Park Saee verbeifuhr, dachte ich an die vielen Stunden, in denen ich dort gesessen habe, mit den Katzen um mich herum oder auf meinem Schoß, mit einem Buch zum Lesen oder auch mit einem Heft, in das ich selbst Texte geschrieben habe. In dieser Erinnerung fühlte ich eine Mischung aus Schmerz und Glück.
Durch Shahrokh und seine Freundschaft habe ich viel gelernt über die zeitgenössische Musik im Iran, und durch ihn kam es auch zu dem Kontakt zu Mehdi Jalali und somit zu Yarava. Aber auch zu Fozié Majd, einer großartigen Komponistin der älteren Generation. Und zu vielen anderen Menschen, von denen manche Freunde wurden. Durch meine Zeiten in Shahrokhs Wohnung konnte ich ein Stück alltäglichen Lebens im Iran kennenlernen.

Im Hinblick auf Ihre Kooperationen mit nicht iranischen Musiker:innen und Orchestern und Ihre Begegnung mit der Yarava Music Group und anderen iranischen Musiker:innen, auf welchem Niveau ist Ihrer Meinung nach die zeitgenössische elektronische Musik im Iran?

Ich vermeide es, in Begriffen wie "hohes" oder "niedriges" Niveau zu denken. Was mich interessiert ist, ob Menschen es ernst meinen mit den Fragen, die unsere menschliche Existenz uns stellt, und wie ihre Musik damit verbunden ist. Dieser Antrieb und diese Entschiedenheit sind für mich die Wurzel von Kunst, und ich finde im Iran viele schöpferische Menschen, die diesen Antrieb haben und daran arbeiten, dass tiefgehende, uns selbst und andere berührende und erfüllende Musik daraus wird.
Alles andere sind technische Dinge, sowohl was das Komponieren angeht, als auch die Ausarbeitung der Elektronik. Die sind wichtig, aber wer lernen will, kann lernen, und niemand hört auf, dabei zu lernen. Ich versuche in meinem Unterrichten einiges von dem zu teilen, was ich dazu von meiner Lehrerin gelernt habe, und weiter bei jeder Komposition lerne. Und ich freue mich, wenn das junge Komponist:innen intererssiert. Im Iran erlebe ich viel Neugierde und Bereitschaft zu lernen, und das ist ebenfalls eine sehr wichtige Qualität. Was ich vor allem zu vermitteln suche, ist das Bewusstsein für das, was wir "Material" einer Komposition nennen können. Was ist das Material eines Stückes, wie kann ich es behandeln, welche Eigenbewegung hat es vielleicht. Welche Fragen stellt es mir beim Komponieren, und welche Wege kann ich finden zur Beantwortung dieser Fragen. Wie kann ich das Material ernst nehmen, es mit Respekt und Liebe behandeln, und darin gleichzeitig zu einer Freiheit kommen. Auf solche Punkte komme ich immer wieder in meinen Gesprächen mit jungen iranischen Komponist:innen, und ich hoffe, dass etwas an diesen Fragen für sie sinnvoll ist und für ihre Musik produktiv sein kann.

Sie waren im Iran sehr aktiv und haben viele iranische Musiker:innen, u.a. wie Reza Korourian, ausgebildet. Sind Sie glücklich/zufrieden mit dem Ergebnis Ihrer Lehre und dem Platz Ihrer Schüler:innen/Student:innen jetzt nach so vielen Jahren?

Ja, soweit wir im Moment glücklich sein können.

Erzählen Sie uns etwas über die HGNM und ihre zentralen Aktivitäten.

Die Hannoversche Gesellschaft für Neue Musik (HGNM) wurde 1987 gegründet, um zeitgenössische Musik in Hannover zu veranstalten. Seit 2014 bin ich zusammen mit Gordon Williamson, Margit Kern und anderen im Vorstand. Wir sind ein Team und haben verschiedene Projekte, für die wir verantwortlich sind. Mein erstes großes Projekt war das DASTGAH Festival 2016, und seit 2017 verantworte ich die Reihe TRAIECT, in der traditionelle Musiker:innen aus asiatischen Ländern auf internationale Komponist:innen neuer Musik treffen.

In wiefern wird die Musik im Iran, sei es klassische Musik, zeitgenössische Musik oder traditionelle Musik, in Ihrem Land wahrgenommen?

Das ist natürlich sehr verschieden je nach den sehr verschiedenen Menschen, die in Deutschland leben. Grundsätzlich erlebe ich ein starkes Interesse daran, iranische Kunst und Kultur kennenzulernen. Wie Sie wissen, gibt es dazu ja auch eine lange Tradition des Austauschs und der Neugier, denken wir beispielsweise an Goethes "West-östlichen Diwan" oder die Ferdowsi Übersetzungen von Rückert, beides schon vor etwa 200 Jahren. In der Musik ist das sicher etwas weniger präsent als in der Literatur, aber vor kurzem ist beispielsweise in der wichtigsten Musikzeitschrift Deutschlands, der von Robert Schumann gegründeten "Neuen Zeitschrift für Musik", eine Ausgabe mit dem Iran als Thema erschienen, in der es vor allem um die zeitgenössische Musik im Iran geht. Ein ähnlich starkes Interesse habe ich 2016 bei dem DASTGAH Festival erlebt — es gab ausführliche Sendungen im nationalen deutschen Rundfunk darüber und vieles mehr.

Erzählen Sie uns mehr über DASTGAH. Soweit ich weiß, ging es dabei um die iranische Kunst und Musik.

Ja, das ist richtig. Es ging vor allem um zeitgenössische iranische Musik, und dank einiger Partnerorganisationen konnte auch etwas Literatur, Kunst und Filmkunst gezeigt werden. Aber das Wichtigste waren die beiden Konzerte, für die jeweils vier Kompositionsaufträge an iranische Komponist:innen erteilt wurden. Seit ich zum erstenmal im Iran war und dann so viele Freundschaften mit Komponistinnen und Komponisten entstanden sind, nahm ich als eines der größten Probleme wahr, dass ihre Musik überhaupt aufgeführt wird. Das war für mich selbst der eigentliche Anlass, dieses Festival zu veranstalten. Und natürlich auch, dadurch der deutschen Öffentlichkeit diese Musik zu zeigen.
Wissen Sie, niemand weiss, ob es jemals besser wird in dem, was wir "Welt" nennen; also konkret: Ob es jemals weniger Gewalt, weniger Töten, weniger Hass, weniger Ungerechtigkeit, weniger Quälen von Menschen durch andere Menschen, weniger Feindseligkeit, weniger Unfähigkeit und Dummheit bei der Lösung von Konflikten geben wird. Aber ich glaube daran, dass Kultur bei dem Versuch, sich auf diesem Weg zu bewegen, eine zentrale Rolle spielt. Weil wir in der Kunst weich sein können, weil es um tiefes Verständnis statt um oberflächliche Meinungen und verdummende Propaganda geht, und weil dieses tiefe Verständnis dazu führen kann, Wirklichkeit in ihrer Komplexität zu begreifen. Zu erleben, dass jeder von uns in umfassender Weise ein Teil von ihr ist; ein Teil, der alle Wirklichkeit in sich enthalten kann. Also nicht die kitschige Trennung in die Guten und die Bösen, sondern die Erkenntnis, dass wir alle alles sind und dass wir nur gemeinsam zu einer anderen Umgangsweise miteinander kommen können. Ich glaube, das DASTGAH Festival war ein kleiner Beitrag dazu, dass es mehr Kenntnis und Verständnis für neue iranische Musik gibt. Und für uns alle war es eine großartige, sehr intensive Zeit, mit so vielen Proben, Konzerten, Gesprächen und Zusammenleben.

Sie organisieren auch ein anderes Festival namens TRAIECT, das jedes Mal mit Bezug auf ein traditionelles Instrument aus Asien stattfindet, beispielsweise einmal für iranische Instrumente, Tanbur und Oud. Erzählen Sie uns über dieses Festival. Warum interessieren Sie sich so sehr für östliche Kultur und Musik, insbesondere des Iran?

Ich war schon als Jugendlicher sehr fasziniert von dem, was man früher "außereuropäische Musik" nannte, und ganz besonders von den verschiedenen traditionellen Musiken in Asien. Ich mochte das einfach, und habe mir aus der öffentlichen Bibliothek Kassetten ausgeliehen mit Aufnahmen, zum Beispiel von Maqam Musik aus dem Irak oder Gagaku aus Japan oder Gamelan aus Indonesien. Dann habe ich bei Younghi Pagh-Paan Komposition studiert, also einer koreanischen Komponistin, die traditionelle koreanische Musik sehr gut kennt und in ihrer Musik verändert weiterleben lässt. Durch Younghi kam es auch, dass ich 2015 ein Stück für koreanische Trommel (Buk) und Elektronik geschrieben habe. Dadurch lernte ich wiederum Sori Choi kennen, eine Musikerin, die intensiv die verschiedenen Traditionen koreanischer Schlagzeugmusik gelernt hat und praktiziert, aber auch sehr viel und sehr gern neue Musik spielt.
Und das ist das Konzept von TRAIECT: Komponist:innen aus verschiedenen Nationen begegnen Musiker:innen aus einem asiatischen Land (bisher waren das Korea, Iran, Taiwan und Vietnam). Zunächst lernen die Komponist:innen in einem mehrtägigen Workshop in Hannover die traditionelle Musik kennen. Das ist ein persönliches Kennenlernen, von Mensch zu Mensch, mit vielen Fragen, Erklärungen, auch eigenem Ausprobieren an den Instrumenten. Dann haben die Komponist:innen ein halbes Jahr Zeit, um ein Stück für diese Musiker:innen und Elektronik zu komponieren. Das Wichtigste bei diesem Projekt ist die Begegnung, und zwar als Verbindung von künstlerischer und menschlicher Begegnung. Es begegnen sich zwei sehr verschiedene Welten. Zum einen die "neue Musik", die wir meist "westlich" nennen, obwohl ich persönlich sie ja vor allem von einer koreanischen Frau gelernt habe. In dieser Musik mögen wir Dissonanzen und sind immer auf der Suche; es gibt nichts Festes; es ist eine einzige Entdeckungsreise. Und auf der anderen Seite die "traditionelle Musik", oder genauer: eine von vielen traditonellen Musiken, mit einem bestimmten Instrument und einem bestimmten Menschen, der diese Musik gelernt hat und praktiziert. Da geht es beispielsweise um Modi und um ein Lernen über Hören und Nachspielen, ohne Partitur. Wie können diese beiden Welten sich begegnen? Was können wir als Komponist:innen von der traditionellen Musik lernen, was an ihr wollen wir für unsere Komposition zum Thema machen, und was gibt unsere Musik den Musiker:innen an neuen Erfahrungen? Ich könnte noch mehr Aspekte nennen, aber vielleicht gibt das erstmal ein Bild für Sie.

Erzählen Sie uns über die YESCOLAB-Sitzungen. Anscheinend gab es bisher 15 Meetings? Haben Sie weitere Planungen dafür?

YESCOLAB entstand 2021 aus den Erfahrungen des TIEMF Festivals vom Februar 2021. Wegen COVID musste das Festival online stattfinden. Ich gab einen Software Kurs, der mir Freude machte, aber danach dachte ich: Warum machen wir das eigentlich nicht über Fragen des Komponierens? Amin Khoshsabk und Mehdi Jalali von Yarava gefiel die Idee auch, und so begannen wir im April 2021 das "Yarava Electronic Studio Composer's Lab". Das Ziel war, eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre herzustellen, in der wir über Fragen des Komponierens kollegial, von Du zu Du sprechen konnten. Parham Izadyar hat kürzlich einen schönen Text über seine Erfahrungen in dieser Gruppe geschrieben. Er spricht über "kreatives Lernen", indem nicht ein Lehrer oder Meister sagt, was richtig oder falsch, gut oder schlecht ist, sondern indem wir gemeinsam überlegen, wie sich Probleme vielleicht lösen lassen, die viele von uns beim Komponieren kennen. Überhaupt ist das Wissen, nicht allein zu sein mit Zweifeln und Problemen, sehr wichtig hier. Kreatives Lernen ist dann ein gemeinsames Suchen, bei dem es nicht darum geht, wer besser oder schlechter ist, sondern dass wir gemeinsam an einen Ort gelangen, den wir bisher nicht kennen.
Aus dieser Gruppe hervorgegangen ist eine Gruppe von Komponistinnen, die ich zusammen mit der makedonischen Komponistin Marijana Janevska veranstalte. Ich kenne viele sehr begabte komponierende und aktive Frauen im Iran, aber mein Eindruck war, dass viele von ihnen sich weniger wichtig nehmen als ihre männlichen Kollegen. Das fand ich schade, und ich habe einigen von ihnen einen intensiven Austausch über Fragen des Komponierens vorgeschlagen. Das läuft sehr gut, und bei unserer nächsten Sitzung diskutieren wir darüber, ob wir die Gruppe nicht doch öffnen wollen.
So gibt es verschiedene Gesprächskreise, und ich bin immer wieder beeindruckt davon, wie breit und tief die musikalische Bildung und der schöpferische Wille in der jungen Generation im Iran ist. Es macht mich glücklich, wenn ich daran teilnehmen kann. Vielleicht kann ich etwas von dem weitergeben, was ich gelernt habe, und ich bekomme sehr viel Einblicke und Inspirationen von dem, was ich in diesen Gruppen lerne.

Sie kooperieren seit mehreren Jahren mit Yarava. Welche Eigenschaften/Besonderheiten hat denn diese Gruppe, dass Sie so lange daran teilnehmen?

Bitte erlauben Sie, dass ich diese Frage über einen kleinen Umweg beantworte. Ich glaube, dass wir gesellschaftlich einen großen Fehler machen, indem die Antriebskraft unserer Wirtschaft auf Besitz und Eigennutz beruht. Ist es nicht absurd, dass jemand durch eine clevere Idee Millionen verdient, während andere nicht genug zu essen haben? Wir sind Sklaven des Systems von Kaufen und Verkaufen, und wer eine Erfindung macht, schützt sie, um damit Geld machen zu können. Aber eigentlich müssten wir lernen, wie wir besser zusammenwirken können. Wie wir unser Wissen teilen und uns gegenseitig helfen können. Auf dem Gebiet der Software gibt es nun erstaunlicher Weise eine sehr erfolgreiche Bewegung, die Teilen und Zusammenarbeit gegen das System von Besitzen und Verkaufen bzw. Kaufen und Konsumieren setzt. Das nennt sich "Open Source", und ich habe irgendwann einmal entschieden, dass ich daran mitwirken möchte. Ich habe auf diesem Gebiet auch menschlich sehr wichtige Erfahrungen gemacht. Leute arbeiten hier zusammen, ohne Geld zu bekommen. Sie arbeiten für eine Software (in meinem Fall die Audio-Programmiersprache "Csound"), weil sie diese Software selbst gebrauchen, und weil es befriedigend ist etwas mitzugestalten, das allen gehört.
Diesen Enthusiasmus finde ich auch bei Yarava. Junge Menschen wollen schöpferisch sein und neue Erfahrungen mit Musik machen, und sie schließen sich zusammen und veranstalten großartige Konzerte, machen Festivals, veranstalten Workshops, bringen CD's heraus. Das gibt eine Atmosphäre, die sehr besonders ist. Für mich ist es eigentlich die Haltung, mit der Kunst gemacht und gehört werden sollte. Nicht die großen Stars auf der Bühne dort hinten, für die ich eine sehr teure Karte in einem noch viel teureren Konzerthaus gekauft habe, sondern ein Konzert in einem Kellerraum mit einem engen Kontakt zwischen Musiker:innen und Publikum, bei dem alle spüren, warum wir Musik machen und brauchen. Das ist Yarava für mich, und das ist natürlich verbunden mit so viel wunderbaren Menschen, die ich dort kennengelernt habe und weiter kennelerne. Und Mehdi Jalali als zentrale Gestalt, der quasi sein Leben dem Leben von Yarava gewidmet hat.

Generell welche Rolle haben die Festivals für zeitgenössische und elektronische Musik ais Ihrer Sicht für die Weiterentwicklung der elektronischen Musik in unserem Land? Und Ihrer Meinung nach, als einer der Gründer des Korourian-Wettbewerbs, wie sehr hat dieser Wettbewerb die elektronische Musik im Iran beeinflusst?

Der Korourian Wettbewerb hat meiner Meinung nach einen weiteren wichtigen Ort für diese Art der elektronischen Musik geschaffen, in der Tradition von Reza Korourian, Shahrokh Khajenouri, Alireza Mashayekhi und anderen. Einen Ort für die jungen Komponist:innen, die über diesen Wettbewerb eine Würdigung ihrer Arbeit erfahren und einen zusätzlichen Antrieb für ihre Kompositionen bekommen. Wir brauchen diese Orte, nicht nur wegen der spezifischen Situation im Iran, sondern auch wegen des Drucks der Kommerzialisierung überall auf der Welt. Die elektronische Kunstmusik kann und will nicht mit elektronischer Popmusik konkurrieren. Sie braucht einen anderen Ort, weil sie wichtig ist für die künstlerische Auseinandersetzung mit der Welt und der Gesellschaft, und für die Weiterentwicklung der Kunst.
Und das ist entsprechend auch die Rolle der Festivals, das wiederum die Möglichkeit eröffnet, dass sich elektronische und instrumentale Musik, mit iranischen oder europäischen Instrumenten, begegnen können.

Wollen Sie mehr über das internationale Festival für elektronische Musik in Tehran (TIEMF) sagen?

Ja, gern. Ehrlich gesagt: Dieses Festival hat etwas auf die Beine gestellt, das ich so nie erlebt habe in Deutschland. Es gibt eine persische und eine internationale Schiene in ihm. Es wird über traditionelle und über neue Musik diskutiert. Es werden Kompositionen und die dahinterstehenden Konzepte vorgestellt. Und vor allem werden so viele neue Kompositionen, und auch Videos, gespielt. Ich bewundere sehr, wie die vielen engagierten Menschen, die dafür so hart arbeiten, das gemacht haben und weiter machen. Ich hoffe, es kann fortgesetzt werden, auch wenn die Bedingungen sehr schwierig sind und die weltpolitischen Verhältnisse derzeit immer schlechter werden.

Sie sind häufig in den Iran gereist. Wie sind Ihre Begegnungen gewesen und generell was für ein Land ist der Iran für Joachim Heintz?

Wenn ich mich recht entsinne, habe ich vorhin bei meiner Erinnerung an den Park Saee von Glück und Schmerz gesprochen. Das sind wohl auch die beiden zentralen Gefühle, wenn es um Ihre Frage geht.
Ich bin in viele Länder gereist, aber nirgends haben sich so viele und so tiefgehende menschliche Beziehungen ergeben wie im Iran. Das ist es, was mein Verhältnis zum Iran vor allem ausmacht: Die Freundinnen und Freunde, die dort leben oder von dort stammen.
Meine Lehrerin Younghi Pagh-Paan, die seit fünfzig Jahren in Deutschland lebt, sagt manchmal, wenn sie gefragt wird, ob sie Deutschland oder Korea als ihre Heimat empfindet: Wo meine Freunde sind, da ist meine Heimat. Insofern ist der Iran ein gutes Stück Heimat für mich.
Und daneben, oder darin, gibt es die Trauer und das Entsetzen über die gewalttätigen Traditionen und Realitäten im Iran, über das fatale Zusammenspiel von kolonialen Machtstrukturen außen und Gewalt innen, für die die Anwendung der Todesstrafe ein Symbol ist. Das ist im Moment leider die vorherrschende Realität, und ich kann nur hoffen, dass der Iran bald einen anderen Weg findet.

Sie haben in dem Projekt20 (zu 20 Jahren Yarava) auch eine sehr wichtige Rolle. Können Sie uns erzählen was Sie in diesem Projekt gemacht haben.

Na ich glaube, da hat mal wieder jemand zu positiv von mir gesprochen ... Ich habe nur ein wenig geholfen, und ansonsten wieder einmal bewundert, wie Mehdi und die Freund:innen von Yarava dieses Projekt initiiert und durchgeführt haben.

Die Stücke von Ehsan Khatibi und Rojin Monibi wurden bei Ihnen aufgenommen. Welche Herausforderungen hat es dabei gegeben?

Beide Stücke benutzen viele leise und geräuschhafte Klänge. Das bedeutet, man braucht gute Bedingungen, also einen stillen Ŕaum. Das war aus vielen praktischen Problemen heraus nicht ganz einfach bei uns an der Hochschule. Aber die Zusammenarbeit mit Asal Karimi und dem Sialan Quartett war so gut, dass ich glaube, wir haben letztlich ein gutes Ergebnis erreichen können.

Generell wie wichtig und notwendig ist die Produktion solcher Alben (mit zeitgenössischer Musik und Uraufführungen) sowohl im Iran als auch in anderen Ländern?

Das ist natürlich sehr wichtig. Traditionelle Musik entsteht normalerweise in einer Einheit von Komponieren und Aufführen. Sie hat einen kurzen Weg von der Imagination zum Klang. So ist es beispielsweise auch, wenn ich mit meinem ALMA Instrument improvisere. Es gibt einen Impuls, diesen oder jenen Klang zu spielen, und man tut es eben. — Aber bei unserer komponierten Musik ist das anders. Wir verbringen viel Zeit damit, die Idee auszuarbeiten, die Form zu bauen, die Zusammenklänge und Rhythmen zu suchen, vielleicht zu finden, und das alles hat mit Schreiben zu tun: erst viele Skizzen, dann irgendwann Noten zum Probieren, und dann am Ende die Reinschrift. Das ist ein faszinierender Prozess, der auf einem Rückgang in die Einsamkeit beruht. Aber diese Einsamkeit braucht immer ihr Gegenteil; das Innen der Klangvorstellung braucht die äußere Realisierung, und das ist nach meinem Eindruck eines der Hauptprobleme für junge Komponist:innen im Iran. Sie haben viel weniger Möglichkeiten als wir in Deutschland, mit Musiker:innen ihre Stücke zu proben und aufzuführen. Deshalb sind diese Aktivitäten so wichtig. Ein Album ist eine Möglichkeit; für mich persönlich sind Konzerte noch wichtiger; aber wir müssen auch neue Formen suchen, beispielsweise eine enge Zusammenarbeit zwischen Komponist:innen und Musiker:innen, die vielleicht gar nicht immer auf ein Konzert hinauslaufen, sondern mehr eine gemeinsame Entdeckungsreise darstellen. Vielleicht verbinden sie sich auch mit Improvisation, oder mit jemandem vom Theater, oder jemandem der tanzt, oder mit bildenden Künstler:innen aus verschiedenen Bereichen. Das wäre, meiner Ansicht nach, das beste: Wenn wir traditionelle Formen der Aufführung, wie Alben und Konzerte, verbinden mit neuen Formen, wie wir zusammenkommen und Kunst machen können. Wir sind immer auf der Suche; deshalb wollen und müssen wir ja Kunst machen ...