Leben als Status

Wo hat jemand ausgestellt, von wem ist jemand gespielt worden, in welchem Verlag ist jemand erschienen. In der Wissenschaft gibt es einen impact Faktor, der die Veröffentlichung in bestimmten Zeitschriften wertet. In der Kunst ist das nicht ganz so formalisiert, aber nicht grundsätzlich verschieden, und bei einer Bewerbung für eine künstlerische Professur oder einen Fördersantrag ist es durchaus von Belang, wo jemand ausgestellt hat, von wem er oder sie gespielt wurde, und in welchem Verlag die Bücher erschienen.

Nun sind die dahinter stehenden Selektionen ja auch nicht ohne Belang, und es gibt Anteile daran, die Qualität befördern. Sie sind auch nicht neu. Sicher mit Recht bekam Monteverdi die Stelle in Venedig und Bach die in Leipzig.

Aber es gibt viele Probleme innerhalb dieses am ranking orientierten Denkens und Beurteilens. Das erste Problem ist, dass der Blick auf die höher oder niedriger eingestuften Institutionen den Blick auf die einzelnen Werke ersetzt. Berufungskommissionen, die eigentlich vom Selbstverständnis her unabhängige und durch eigene Kompetenz ausgezeichnete Gremien über künstlerischen Wert sind, verkommen dann zum bloßen Nachbuchstabieren von Karrierewegen. Und zumindest für eine Zeit funktionieren viele Erfolge wie bei einem Ansteckungsprinzip: Wer schon hier war, kommt auch dort noch hin.

Das zweite Problem ist, dass junge Komponist*innen versucht sind, dort anzukommen, wo gespielt worden zu sein sie später vorzeigen, in ihrer Biografie vermerken können. Also nicht zu fragen: "Was will ich schreiben und wie kann ich dafür eine Möglichkeit bekommen", sondern zu fragen: "Wie kann ich es schaffen, auf dem Festival X oder im Programm des Ensemble Y gespielt zu werden." Dann geht es nicht mehr um die Musik, sondern um den Status für die Biografie. Die beiden Motivationen müssen sich nicht ausschließen, aber wenn die Hauptmotivation nicht mehr die Musik ist, ist das eingetreten, was man in der Politik Korruption nennt.

Das dritte Problem ist eher grundsätzlicher Natur. Wie blicken wir aufeinander? Wie sehr blicken wir aufeinander unter der Maßgabe des Status, des wer ist höher, wer ist tiefer? Folgen wir überall dem Paradigma des Sports und haben auch in der Kunst die Champions League, die National League und die Regional League? Gibt es einen Qualitätsanspruch, der sich anders als in diesen Kategorien äußert?

Martin Buber erzählt in den Geschichten der Chassidim (S. 661 der Manesse Ausgabe):

Rabbi David von Lelow hörte einmal, wie ein einfältiger Mann beim Beten nach jedem Vers den Gottesnamen sagte. Das kam daher, dass am Schluss jedes Verses zwei Punkte übereinander stehen: jeden der beiden nahm der Mann für den winzigen Buchstaben Jud oder Jod, und da der Gottesname in der Abkürzung durch zwei Juds dargestellt wird, meinte er, der Name stehe am Schluss jedes Verses. Der Zaddik belehrte ihn: "Wo du zwei Juden nebeneinander, gleich auf gleich, findest, da ist der Name Gottes. Wo es dir aber scheint, dass ein Jud über dem anderen steht, das sind keine Juden und da ist der Name Gottes nicht."