(1) Im Versuch, ein Stück zum Thema Quantenphysik und Musik zu schreiben, entstand eine tiefe Trauer. Warum, empfand ich, stecken wir so viel Energie und Scharfsinn in die Beobachtung dieser kleinsten Teilchen, und sind doch nicht in der Lage, uns selbst zu beobachten und die fundamentalen Probleme des menschlichen Zusammenlebens überhaupt nur in den Blick zu nehmen, geschweige denn versuchen sie zu lösen?

(2) Jean Améry spricht in seinen Bewältigungsversuchen eines Überwältigten über die Perspektive von menschlicher Geschichte, wie sie sich ihm als KZ-Häftling dargestellt hat: „Es war die griechische Zivilisation aufgebaut auf Sklaverei, und ein athenisches Heer hatte auf Melos gehaust wie die SS in der Ukraine. Menschenopfer unerhört waren gefallen, soweit das Licht der Geschichte in die Tiefe reicht.“¹ Nichts neues also ...

(3) Eines dieser alltäglichen Geschehnisse bildet die Textbasis für dieses Stück. Do-hwa Kang, geboren 1923, erinnert sich 2004 bei einer Anhörung des Jeju 4-3 Institute an die brutalen Strafaktionen des südkoreanischen Militärs im Jahr 1948, bei denen sie ihren Mann und fünf weitere Familienmitglieder verloren hat. Bis heute, sagt sie, sucht sie das Grab ihres Mannes.²

(4) Es sind keine Unfälle. Es geschieht jetzt, irgendwo, und auch hier geschieht etwas davon. Und dort, dort ist Musik; auch; zum Glück: zum Mit Trauern, zum Mit Fühlen, zum Hören ... --- Hören als Zuwendung, Hören als Feinheit, Hören als Zärtlichkeit.

(5) Schwitters bemerkte einmal, er schreibe so gern Unsinn, weil der Unsinn ihm leid tue, da er immer so abgewertet wird.³ So ähnlich geht es mir mit Sinustönen, die entweder als völlig veraltet verlacht werden, oder sich zum Signalgeber erniedrigen lassen müssen, indem sie geistlos, ohne interne Bewegung, immer zu laut auf unsere Ohren losgelassen werden. Aber wie viel Potential liegt „immer noch“ in ihnen, wie viel Zartheit, Schönheit, Traurigkeit. Bernd Alois Zimmermanns Tratto ist eine wichtige Referenz dafür.

(6) Eine Geschichte aus der daoistischen Textsammlung Zhuangzi, in Kurzfassung:
Zhuangzi und Huizi spazieren auf der Brücke über den Hao Fluss. Zhuangzi sagt: Die Elritzen kommen heraus und tummeln sich sorglos. Das ist die Freude der Fische! Huizi entgegnet: Du bist kein Fisch. Wie kannst du die Freude der Fische erkennen? Zhuangzi erwidert: Hier von der Brücke aus erkenne ich sie.
Und so auch die Trauer, der Fische.

Dank an Younghi Pagh-Paan für das Sprechen des Textes, an Tobias Klich für die Aufnahme, und an Seungwon Yang für die Recherche und die Übersetzung der Zeugenaussage von Frau Kang.

Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne, München 1988, 26
http://www.jeju43.org/bbs/board.php?bo_table=evidence&wr_id=5&page=0&page=0 (Dez. 2018)
Vgl. Kurt Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, München 2005, 77
Vgl. Hans-Georg Möller, In der Mitte des Kreises, Daoistisches Denken, Frankfurt 2001, 85

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