Offen und frei 2017
Nachruf auf Klaus Huber (erschienen in MusikTexte 155)
Ich bin auch ein Leuchtturm, sagte Klaus, zog den neben ihm stehenden Stuhl heran und machte Anstalten heraufzusteigen. Das konnte, am schnellsten und entschiedensten durch die neben ihm stehende Younghi Pagh-Paan, gerade noch verhindert werden. Klaus war schließlich auch schon Mitte Siebzig, als er diesen Meisterkurs an der Hochschule für Künste Bremen gab.
Warum hat Klaus so viele produktive Komponisten und Komponistinnen hervorgebracht, fragte ich mich damals. Und nachdem ich selbst eine Stunde bei ihm hatte, glaubte ich es zu wissen. Sein Unterricht hatte etwas ungeheuer Inspirierendes, Belebendes; da war eine selbstverständliche Bestärkung, Ermutigung, die Solidarität von einem Produktiven zu einem anderen — ein Mitdenken, Anknüpfen, ein gemeinsames Phantasieren, Weiterspinnen — —; da war aber auch Forderung, die aus der Diskussion enstand: dieses Problem musst du lösen, über diese Möglichkeiten des Instruments musst du noch nachforschen, und jene Dimension deines Stückes hast du noch gar nicht wahrgenommen. Man geht lebendiger hinaus aus dem Unterricht, angeregt, und weiss, was man als nächstes zu tun hat, und will nichts dringenderes, als es sofort zu tun.
Es ist diese gelebte Produktivität, gerade auch als Lehrer, mit einer Moral, die nicht aus einem „du musst“ kommt, sondern aus einem „wir wollen doch“, die Klaus für mich verkörpert. Eine Moral, die in ihrer Weise streng ist, weil es um die Sache geht (und die Sache ist das Komponieren, und das Komponieren ist wichtig), aber doch weit und offen — sie artikuliert sich unmittelbar erfahrbar als gelebte Freiheit und Entschlossenheit. Sie hat nichts von der Moral eines Spießers, sie zieht ihre Maßstäbe nicht aus dem Befolgen vorgesetzter Regeln, sondern aus den Bedürfnissen der Kunst und der zu ihr gehörenden Professionalität. Wie wichtig, und leider nicht selbstverständlich, gerade im akademischen Kontext.
„Offen und frei“, um Bodhidharma zu zitieren, offen und frei war Klaus: in seinen Methoden, in seiner Herangehensweise, in seinen Perspektiven, in seinem so viele Bereiche umfassenden Denken. Und vielleicht mehr noch: neugierig. Er hat sich eine Seite des Kindseins bewahrt, die wir anderen meist schnell verlassen oder uns austreiben lassen. Sieh mal da, sagt er, und nimmt es schon in die Hand.
Die Art, wie Klaus Intuition und Methode zusammen dachte und in seiner Musik wie in seinem Unterrichten praktizierte, ist für mich immer Vorbild geblieben. Methoden werden in einem weiten Feld aufgesucht, aufgenommen, weiterentwickelt; nicht nur aus der Musik, auch aus Geometrie, Architektur, Bildender Kunst oder Handwerk kommen die Anregungen und Verfahren; aber sie stehen immer in Verbindung mit der kompositorischen Idee, sind nie abgelöst von der musikalischen Intuition, werden immer befragt im Hinblick auf das klangliche Resultat. Methoden können und müssen modifiziert werden, aber gleichzeitig entsteht ein Erfahrungsschatz, eine Vertrautheit im Gebrauch, die Klaus gern in einer Erzählung über seinen Großvater ausdrückte, einem Holzschnitzer aus dem Berner Oberland. Der hatte, als der Enkel ihn besuchte, eine unendliche Anzahl von Werkzeugen zur Holzbearbeitung auf dem Arbeitstisch vor sich liegen, von denen viele für den kleinen Klaus ganz gleich aussahen. Großvater, wie unterscheidest du sie, fragte er. Ich sehe es am Griff, antwortete der Großvater. Wer seine Methoden oft genug gebraucht hat, kennt sie besser und besser, an ihren Griffen gleichsam, und so kann er sie anwenden und verlassen — nicht aus einer modischen Angesagtheit oder intellektuellen Beliebigkeit heraus, sondern weil die Musik es erfordert. Das hat mit einer tiefen Liebe zum Hören zu tun, und zu einer Sprache, die unmittelbarer menschlicher Ausdruck ist und gleichzeitig gefährdet, für Klaus‘ Wahrnehmung sogar existentiell bedroht ist, von Kommerzialisierung und Kulturimperialismus, Verflachung und Instrumentalisierung.
Ja, Klaus war ein Leuchtturm, viel zu wenig gespielt leider, aber er leuchtet weiter, in dem, was er weitergegeben und hinterlassen hat.