Joachim Heintz
Heine-Kommentare

Texte von Heine, auf die sich die musikalischen Kommentare beziehen.

Stimmen

Kommentar zu "Weltlauf":

Hat man viel, so wird man bald
Noch viel mehr dazu bekommen.
Wer nur wenig hat, dem wird
Auch das wenige genommen.
Wenn du aber gar nichts hast,
Ach, so lasse dich begraben —
Denn ein Recht zum Leben, Lump,
Haben nur die etwas haben.

Nacht

Kommentar zu "Wie langsam / Belsatzar":

Wie langsam kriechet sie dahin,
Die Zeit, die schauderhafte Schnecke!
Ich aber, ganz bewegungslos
Bleib ich hier auf demselben Flecke.
In meine dunkle Zelle dringt
Kein Sonnenstrahl, kein Hoffnungsschimmer,
Ich weiss, nur mit der Kirchhofsgruft
Vertausch ich dies fatale Zimmer.
Vielleicht bin ich gestorben längst;
Es sind vielleicht nur Spukgestalten
Die Phantasien, die des Nachts
Im Hirn den bunten Umzug halten.
Es mögen wohl Gespenster sein,
Altheidnisch göttlichen Gelichters;
Sie wählen gern zum Tummelplatz
Den Schädel eines toten Dichters. —
Die schaurig süßen Orgia,
Das nächtlich tolle Geistertreiben,
Sucht des Poeten Leichenhand
Manchmal am Morgen aufzuschreiben.

Die Mitternacht zog näher schon
In stummer Ruh lag Babylon.
Nur oben in des Königs Schloss,
Da flackerts, da lärmt des Königs Tross.
Dort oben in dem Königssaal
Belsatzar hielt sein Königsmahl.
Die Knechte saßen in schimmernden Reihn,
Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht;
So klang es dem störrigen Könige recht.
Des Königs Wangen leuchten Glut;
Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.
Und blindlings reisst der Mut ihn fort;
Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.
Und er brüstet sich frech, und lästert wild;
Der Knechtenschar ihm Beifall brüllt.
Der König rief mit stolzem Blick;
Der Diener eilt und kehrt zurück.
Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.
Und der König ergriff mit frevler Hand
Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.
Und er leert ihn hastig bis auf den Grund,
Und rufet laut mit schäumendem Mund:
Jehovah! dir künd ich auf ewig Hohn —
Ich bin der König von Babylon!
Doch kaum das grause Wort verklang,
Dem König wards heimlich im Busen bang.
Das gellende Lachen verstummte zumal;
Es wurde leichenstill im Saal.
Und sieh! und sieh! an weisser Wand
Da kams hervor wie Menschenhand;
Und schrieb, und schrieb an weisser Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb, und schwand.
Der König stieren Blicks da saß.
Mit schlotternden Knien und totenblass.
Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
Und saß gar still, gab keinen Laut.
Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
Belsatzar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.

Schläge

Kommentar zu "Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen" / "Jammertal":

Wir Bürgermeister und Senat,
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen.
Ausländer, Fremde, sind es meist,
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.
Auch Gottesleugner sind es meist;
Wer sich von seinem Gotte reisst,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.
Der Obrigkeit gehorchen, ist
Die erste Pflicht für Jud und Christ.
Es schließe jeder seine Bude
Sobald es dunkelt, Christ und Jude.
Wo ihrer drei beisammen stehn,
Da soll man auseinander gehn.
Des Nachts soll niemand auf den Gassen
Sich ohne Leuchte sehen lassen.
Es liefre seine Waffen aus
Ein jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte
Wird deponiert am selben Orte.
Wer auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonieren durch Gebärden
Sol gleichfalls hart bestrafet werden.
Vertrauet eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

Der Nachtwind durch die Luken pfeift,
Und auf dem Dachstublager
Zwei arme Seelen gebettet sind;
Sie schauen so blass und mager.
Die eine arme Seele spricht:
Umschling mich mit deinen Armen,
An meinen Mund drück fest deinen Mund,
Ich will an dir erwarmen.
Die andere arme Seele spricht:
Wenn ich dein Auge sehe,
Verschwindet mein Elend, der Hunger, der Frost
Und all mein Erdenwehe.
Sie küssten sich viel, sie weinten noch mehr,
Sie drückten sich seufzend die Hände,
Sie lachten manchmal und sangen sogar,
Und sie verstummten am Ende.
Am Morgen kam der Kommissär,
Und mit ihm kam ein braver
Chirurgus, welcher konstatiert
Den Tod der beiden Kadaver.
Die strenge Wittrung, erklärte er,
Mit Magenleere vereinigt,
Hat beider Ableben verursacht, sie hat
Zum mindesten solches beschleunigt.
Wenn Fröste eintreten, setzt' er hinzu,
Sei höchst notwenig Verwahrung
Durch wollene Decken; er empfahl
Gleichfalls gesunde Nahrung.

Warten

Kommentar zu "Die Launen der Verliebten":

Der Käfer saß auf dem Zaun, betrübt;
Er hat sich in eine Fliege verliebt.
Du bist, o Fliege meiner Seele,
Die Gattin, die ich auserwähle.
Heirate mich und sei mir hold!
Ich hab einen Bauch von eitel Gold.
Mein Rücken ist eine wahre Pracht;
Da flammt der Rubin, das glänzt der Smaragd.
O dass ich eine Närrin wär!
Ein'n Käfer nehm ich nimmermehr.
Mich lockt nicht Gold, Rubin und Smaragd;
Ich weiss, dass Reichtum nicht glücklich macht.
Nach Idealen schwärmt mein Sinn,
Weil ich eine stolze Fliege bin. —
Der Käfer flog fort mit großem Grämen;
Die Fliege ging ein Bad zu nehmen.
Wo ist denn meine Magd, die Biene,
Dass sie beim Waschen mich bediene;
Dass sie mir streichle die feine Haut,
Denn ich bin eines Käfers Braut.
Wahrhaftig, ich mach eine große Partie;
Viel schöneren Käfer gab es nie.
Sein Rücken ist eine wahre Pracht;
Da flammt der Rubin, da glänzt der Smaragd.
Sein Bauch ist gülden, hat noble Züge;
Vor Neid wird bersten bar manche Schmeissfliege.
Spute dich, Bienchen, und frisier mich,
Und schnüre die Taille und parfümier mich;
Reib mich mit Rosenessenzen und giesse
Lavendelöl auf meine Füße,
Damit ich gar nicht stinken tu,
Wenn ich in des Bräutigams Armen ruh.
Schon flirren heran die blauen Libellen,
Und huldigen mir als Ehrenmamsellen.
Sie winden mir in den Jungfernkranz
Die weisse Blüte der Pomeranz.
Viele Musikanten sind eingeladen,
Auch Sängerinnen, vornehme Zikaden.
Rohrdommel und Horniss, Bremse und Hummel,
Die sollen trompeten und schlagen die Trommel;
Sie sollen aufspielen zum Hochzeitsfest —
Schon kommen die bunt beflügelten Gäst,
Schon kommt die Familie, geputzt und munter;
Gemeine Insekten sind viele darunter.
Heuschrecken und Wespen, Muhmen und Basen,
Sie kommen heran — Die Trompeten blasen.
Der Pastor Maulwurf im schwarzen Ornat,
Da kommt er gleichfalls — es ist schon spat.
Die Glocken läuten, bim-bam, bim-bam —
Wo bleibt mein liebster Bräutigam? ——
Bim-bam, bim-bam, klingt Glockengeläute,
Der Bräutigam aber flog fort ins Weite.
Die Glocken läuten, bim-bam, bim-bam —
Wo bleibt mein liebster Bräutigam?
Der Bräutigam hat unterdessen
Auf einem fernen Misthaufe gesessen.
Dort blieb er sitzen sieben Jahr,
Bis dass die Braut verfaulet war.

Rad

Kommentar zu "Frau Sorge":

In meines Glückes Sonnenglanz,
Da gaukelte fröhlich der Mückentanz.
Die lieben Freunde liebten mich
Und teilten mit mir brüderlich
Wohl meinen besten Braten
Und meinen letzten Dukaten.
Das Glück ist fort, der Beutel leer,
Und hab auch keine Freunde mehr;
Erloschen ist der Sonnenglanz,
Zerstoben ist der Mückentanz,
Die Freunde, so wie die Mücke,
Verschwinden mit dem Glücke.
An meinem Bett in der Winternacht
Als Wärterin die Sorge wacht.
Sie trägt eine weiße Unterjack,
Ein schwarzes Mützchen, und schnupft Tabak.
Die Dose knarrt so grässlich,
Die Alte nickt so hässlich.
Mir träumt manchmal, gekommen sei
Zurück das Glück und der junge Mai
Und die Freundschaft und der Mückenschwarm —
Da knarrt die Dose — dass Gott erbarm,
Es platzt die Seifenblase —
Die Alte schneuzt die Nase.

Auf diesen Felsen

Kommentar zu "Auf diesem Felsen":

Auf diesem Felsen bauen wir
Die Kirche von dem dritten,
Dem dritten neuen Testament;
Das Leid ist ausgelitten.
Vernichtet ist das Zweierlei,
Das uns so lang betöret;
Die dumme Leiberquälerei
Hat endlich aufgehöret.
Hörst du den Gott am finstern Meer?
Mit tausend Stimmen spricht er.
Und siehst du über unserm Haupt
Die tausend Gotteslichter?
Der heilge Gott der ist im Licht
Wie in den Finsternissen;
Und Gott ist alles was da ist;
Er ist in unseren Küssen.

Nacht 2

Kommentar zu "Sie erlischt":

Der Vorhang fällt, das Stück ist aus,
Und Herrn und Damen gehn nach Haus.
Ob ihnen auch das Stück gefallen?
Ich glaub, ich hörte Beifall schallen.
Ein hochverehrtes Publikum
Beklatschte dankbar seinen Dichter.
Jetzt aber ist das Haus so stumm,
Und sind verschwunden Lust und Lichter.
Doch horch! ein schollernd schnöder Klang
Ertönt unfern der öden Bühne; —
Vielleicht dass eine Saite sprang
An einer alten Violine.
Verdriesslich ratscheln im Parkett
Etwelche Ratten hin und her,
Und alles riecht nach ranzgem Öle,
Die letzte Lampe ächzt und zischt.
Das arme Licht war meine Seele.

Lass

Kommentar zu "Lass die heilgen Parabolen":

Lass die heilgen Parabolen,
Lass die frommen Hypothesen —
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen.
Warum schleppt sich blutend, elend,
Unter Kreuzlast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger
Trabt auf hohem Ross der Schlechte?
Woran liegt die Schuld? Ist etwa
Unser Herr nicht ganz allmächtig?
Oder treibt er selbst den Unfug?
Ach, das wäre niederträchtig.
Also fragen wir beständig,
Bis man uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler —
Aber ist das eine Antwort?

Stimmen 2

Kommentar zu "Die Wanderratten":

Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.
Sie wandern viel tausend Meilen,
Ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.
Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl durch die Seen;
Gar manche ersäuft und bricht das Genick,
Die lebenden lassen die toten zurück.
Es haben diese Käuze
Gar fürchterliche Schnäuze;
Sie tragen die Köpfe geschoren egal,
Ganz radikal, ganz rattenkahl.
Die radikale Rotte
Weiss nichts von einem Gotte.
Sie lassen nicht taufen ihre Brut,
Die Weiber sind Gemeindegut.
Der sinnliche Rattenhaufen,
Er will nur fressen und saufen,
Er denkt nicht, während er säuft und frisst,
Dass unsere Seele unsterblich ist.
So eine wilde Ratze,
Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;
Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld
Und wünscht aufs neue zu teilen die Welt.
Die Wanderratten, o wehe!
Sie sind schon in der Nähe.
Sie rücken heran, ich höre schon
Ihr Pfeifen — die Zahl ist Legion.
O wehe! wir sind verloren,
Sie sind schon vor den Toren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und keiner weiss Rat.
Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen,
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigentum.
Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,
Nicht hochwohlweise Senatsdekrete,
Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder,
Sie helfen euch heute, ihr lieben Kinder!
Heut helfen euch nicht die Wortgespinste
Der abgelebten Redekünste.
Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,
Sie springen über die feinsten Sophismen.
Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,
Nur Argumente von Rinderbraten,
Begleitet mit Göttinger Wurst-Zitaten.
Ein schwingender Stockfisch, in Butter gesotten,
Behagt den radikalen Rotten
Viel besser als ein Mirabeau
Und alle Redner seit Cicero.